Es handelt sich um das Posaunenfest und den Versöhnungstag, die auch als die Hohen Feiertage bekannt sind. Gott gebot Israel, an beiden Tagen „eine heilige Versammlung“ zu halten (3. Mose 23,24.27).
Im Gegensatz zu anderen biblischen jüdischen Festen wie dem Passah oder Sukkot erwähnt das Neue Testament weder, dass Jesus das Posaunenfest, noch dass er den Versöhnungstag gefeiert hätte. Vielleicht ist das ein Grund, weshalb diese Tage für die meisten Christen „unter dem Radar“ bleiben. Dennoch bezweifle ich nicht, dass Jesus und seine Nachfolger zusammen mit der übrigen jüdischen Gemeinschaft die Hohen Feiertage begingen. Sicherlich sind die Themen und die theologische Bedeutung dieser beiden Tage durch das Neue Testament hindurch verwoben und finden ihre letztgültige und tiefste Erfüllung in der Person und Mission Christi.
Betrachten wir das Posaunenfest. Heute wird es allgemein Rosch HaSchana oder das jüdische Neujahrsfest genannt, doch die Bibel bezeichnet es als „Jom T’ruah“ – den Tag des Posaunenblasens. Der Klang der Posaune, in diesem Fall des Widderhorns, war Israels Ruf zur Umkehr. Weit entfernt von einer Neujahrsfeier kündigte der Posaunenschall einen Tag der Vergeltung an, einen Tag, an dem Gott mit seinem Volk ins Gericht trat. Ganz ähnlich bestand die Verkündigung des Auftrags Jesu und der Inhalt seiner eigenen Botschaft im Ruf zur Umkehr. Johannes der Täufer bereitete den Weg für Jesus und rief: „Tut Buße! Denn das Reich der Himmel ist nahe gekommen.“ – ein Thema, das Jesus selbst während seines irdischen Wirkens wiederholte (Matthäus 3,2; 4,17).
Es ist interessant, darüber nachzudenken, was wohl geschehen wäre, wenn Israel damals dem Ruf zur Umkehr gefolgt wäre. Hätten mein Volk Jesus vielleicht massenhaft als den Messias angenommen? Und ich frage mich, was wohl heute unter den Nachfolgern Jesu geschehen würde, wenn wir gleichermaßen seinem Ruf zur Umkehr folgten.
Wir wissen, dass uns die Güte und Gnade Gottes zur Umkehr geführt hat, um seine Vergebung zu empfangen, und dass Jesu Opfer ausreichte, um für unsere Sünden – vergangene, gegenwärtige und zukünftige – Sühnung zu schaffen. Dennoch sollte eine Haltung der Buße über Sünde etwas sein, das wir uns immer wieder für uns selbst wünschen, für das jüdische Volk – ja, für alle Menschen. Umkehr verändert unsere Richtung, damit wir mit Gott gehen können; aber auch Nachfolger Jesu müssen immer wieder neu ausgerichtet werden, nicht wahr? Genau dazu ruft uns der Klang der Posaune auf.
Der Ruf zur Umkehr am Posaunenfest weist auch auf ein zukünftiges, ich glaube sogar baldiges Ereignis hin. Der Schall des Widderhorns (Schofar) verbindet den heutigen Ruf zur Umkehr mit dem kommenden Tag des Gerichts. Jesus lehrte, dass dies bei seiner Wiederkunft geschehen würde. Er sprach vom Menschensohn, der auf den Wolken des Himmels kommen wird: „Und er wird seine Engel aussenden mit starkem Posaunenschall, und sie werden seine Auserwählten versammeln von den vier Winden her, von dem einen Ende der Himmel bis zu ihrem anderen Ende.“ (Matthäus 24,31). Ebenso erwähnt Paulus den Schofar Gottes, wenn er von den letzten Tagen, vom Gericht und der Wiederkunft Christi spricht (siehe 1. Korinther 15,52; 1. Thessalonicher 4,16).
So wusste Jesus, dass der Schall des Schofars auch auf seine Wiederkunft hinwies und auf alles, was dann geschehen würde – einschließlich seines Gerichts.
In manchen christlichen Kreisen ist es heute beliebt geworden, den Schofar als Symbol der Freude und Anbetung zu blasen, etwa zu Beginn einer Versammlung oder Konferenz. Auch wenn daran nichts Falsches ist, erscheint es mir doch ein wenig unverbunden. Der Schofar wurde zu biblischen Zeiten auf verschiedene Weisen und zu verschiedenen Zwecken geblasen, aber für mich liegt seine hauptsächliche Bedeutung in den Hohen Feiertagen. Ich zweifle nicht daran, dass Jesus und seine frühen Nachfolger, wenn sie am Posaunenfest den Schall des Widderhorns hörten, diesen als Ruf zu gottesfürchtiger Umkehr verstanden. Und auch wenn die Jünger vielleicht etwas Zeit brauchten, um dies zu begreifen, so wusste Jesus, dass der Schall des Schofars auch auf seine Wiederkunft hinwies und auf alles, was dann geschehen würde – einschließlich seines Gerichts.
Während das Posaunenfest Gottes Gericht über Israel signalisierte, schenkte er am Versöhnungstag Erlösung und Vergebung der Sünden. Die biblische Feier dieses heiligen Tages drehte sich um den Opferdienst im Tempel und die unentbehrliche Rolle des Hohenpriesters, eines Nachkommen Aarons. Nach der Zerstörung des Tempels durch die Römer im Jahr 70 n. Chr. und dem anschließenden Ende des aaronitischen Priestertums konnte die jüdische Feier dieses Hohen Feiertages nicht länger nach biblischem Protokoll stattfinden. Schließlich bündelte sich die Feier um das Gebot: „Ihr sollt eure Seelen demütigen“ (3. Mose 23,27).
Dieses Gebot wurde als Fasten verstanden, und so ist bis heute in der jüdischen Gemeinschaft das Fasten die Hauptpflicht, die mit dem Versöhnungstag verbunden ist. Tatsächlich fasten manche Menschen an diesem Tag, ohne notwendigerweise den Synagogengottesdienst zu besuchen oder zu beten. Einige verbinden den Tag nicht einmal mit der Frage nach der Sünde oder dem Bedürfnis nach Versöhnung, sondern fasten lediglich, weil es „das Jüdische ist, was man tut“. Das ist doch ein klarer Bruch mit der eigentlichen Bedeutung des Versöhnungstages!
Doch dieser Bruch ist verständlich. Der Tempel und das Priestertum waren für diesen Heiligen Tag völlig unentbehrlich; seine wahre Bedeutung war in Gottes Geboten darüber verwurzelt und gegründet. Als sie zerstört wurden, mussten diejenigen, die zu den Hütern des Judentums wurden, andere Wege finden, das geistliche Verständnis des Volkes zu lenken und ihre geistliche Identität zu festigen. Gerade an diesem Punkt jedoch wird Jesu Erfüllung des Versöhnungstages zu einer der überzeugendsten Apologien für den christlichen Glauben.
Jesus wusste sehr wohl, welche radikale Wirkung seine Worte haben würden, als er verkündete: „Brecht diesen Tempel ab, und in drei Tagen werde ich ihn aufrichten.“ (Johannes 2,19). Die Aussage Jeschuas (Jesu) war für die jüdische Führung seiner Zeit ein Skandal – so sehr, dass sie bei seinem Prozess als schwerwiegender Vorwurf gegen ihn verwendet wurde (siehe Markus 14,57–58). Was seine Hörer auch verstanden oder nicht verstanden haben mögen: Jesus sagte damit tatsächlich seinen Tod und seine Auferstehung voraus – und wie dadurch die gesamte Bestimmung und Bedeutung des Heiligen Tempels erfüllt werden würde.
Doch es geht noch weiter: Jesus erfüllte nicht nur die Rolle des Tempels, sondern auch die des Priestertums selbst. Obwohl er kein Nachkomme Aarons war, bezeichnet der Hebräerbrief Jesus als Inhaber eines „überlegenen Priestertums“, nämlich des Melchisedek (siehe Kapitel 5–7). Deshalb war er in der Lage, ein für alle Mal Sühnung für uns zu schaffen, als er starb und wieder auferstand. Der Tag, an dem unser ewiger Hoherpriester Jesus „hinter den Vorhang“ einging (Hebräer 6,19), war der eigentliche Versöhnungstag – der Tag, an dem er eine ewige Bedeckung und Vergebung der Sünden für alle sicherte, die ihm vertrauen. Ja, der Versöhnungstag, die Opfersysteme des Tempels und das Priestertum finden alle ihre Erfüllung in der Person Jesu Christi.
Das ist gewiss ein Grund, diesen und jeden Monat zu feiern. Mein Gebet ist, dass meine Brüder und Schwestern in Christus zu einem immer tieferen Verständnis des Reichtums unserer jüdischen Wurzeln gelangen, so wie sie sich in Christus in den Hohen Feiertagen zeigen. Noch mehr aber – und gerade jetzt – bete ich (und lade dich ein, mit mir zu beten), dass meine jüdischen Brüder und Schwestern Christus in den Hohen Feiertagen erkennen und das ewige Heil empfangen, das nur durch ihn kommen kann.